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Volker Grassmuck und Christian Unverzagt

 

 

 

Das Müll-System

Eine metarealistische Bestandsaufnahme

 

  

 

 

 

 

Die Reste vom Recycling - Vorschein des Verschwindens

 

Recycling basiert auf der Idee, daß im Universum nichts verlorengehen kann; oder präziser noch: auf der Hoffnung, daß der Verwertungsprozeß sich die Welt restlos aneignen kann. Dazu ist die Umbiegung linearer Prozesse mit ihrem Abfallausstoß in die ökologische Kreisform nötig. Produktion und Re-Produktion ohne Ende. Die Dinge dürfen sich nicht endgültig aus dem Kreislauf des Nützlichen verabschieden. Die vernutzten Dinge werden nicht in den wohlverdienten Ruhestand versetzt; das Ausgeschiedene wird zum zweiten Außerhalb erklärt, um erneut das Zeichen seiner planmäßigen Verarbeitung eingebrannt zu bekommen. »Ich war eine Dose«, verkündet ein buntes, aufziehbares Blechhühnchen, »Ich auch« ein anderes, »Ich auch« ...

Beginnt die Idee des Recycling mit einer leidenschaftlichen Suche nach der Noch-Verwertbarkeit der einmal produzierten Dinge, so ging es seit der Bewußtwerdung über die Begrenztheit der Ressourcen um die Wieder-Verwertbarkeit der Materie. Der Fortschritt soll weitergehen können, nur darf er nicht die einmaligen Ressourcen mit einmaligem Gebrauch vernichten.

Die in der Recycling-Idee enthaltene Philosophie der Restlosigkeit macht Anleihen bei der Reinkarnationslehre. Ewig sollen die Dinge wiedergeboren werden. Aber es scheint, als ob eine böse karmische Verstrickung auf dem Projekt läge. Die Wieder-in-den-Kreis-Zurückführung der Moderne ist schwieriger als man dachte. Nicht nur das Papier wird dunkler und die Kontraste unschärfer, der Aufwand, um die verendenden Zeichen für die Zivilisation wiederzugewinnen, steigt unerbittlich im Verhältnis zu seinen Früchten. Die Zeichen der Verendung können nur noch um den Preis einer schleichenden Degeneration daran gehindert werden, sich schon jetzt unberechenbar und drohend von der Zeit des Plans abzukoppeln.

In einer bis dato beispiellosen Großaktion ließ im Mai 1989 die Berliner Umweltsenatorin gleichzeitig 439 Betriebe der Recyclingbranche durchsuchen. Es bestand der begründete Verdacht, daß gefährliche flüssige Abfallstoffe nicht ordnungsgemäß entsorgt, sondern zum »Wirtschaftsgut« umdeklariert worden waren, um aus ihnen Kapital zu schlagen. Verunreinigte Lösungsmittel und Nitroverdünner wurden z. B. als Brennstoff nach Polen geliefert.

Auch wenn die Industrie- und Handelskammer wütend »gegen die Kriminalisierung einer ganzen Branche« protestierte, war leider sehr schnell klar, daß es sich bei der Entsorgung durch Verkauf um keinen Einzelfall handelte. Andere Sonderabfälle wurden ohne Genehmigung transportiert und zwischengelagert, weitere vermischt und verschnitten; und schließlich blieben etliche unauffindbar.Vier der sieben auf Abfuhr und Verwertung von Giftmüll spezialisierten Betriebe hatten das Objekt ihrer Begierde offensichtlich regelmäßig umdeklariert. Sie versprachen, sich zu bessern.

Es bleibt immer ein Rest. Um ihn verschwinden zu lassen, gibt es zahlreiche Sprachstrategien; sie decken sich aber eher selten mit dem Gang der Materie durch die Welt. Wie auch? Die Natur ist auf die menschlichen Aktivitäten und die Stoffe, die aus ihr hervorgegangen sind, nicht vorbereitet. Sie kann sie nicht ohne Reaktionsbildungen aufnehmen, die uns dann Sorge bereiten. Wäre es da nicht ungerecht, den Entsorgern die Sorge zu überlassen und zugleich noch die Art und Weise des Verschwindens vorzuschreiben? Das Verschwinden des Rests ohne Sorge ist vor allem eines aus unserem Bewußtsein, und das schließlich leisten die Entsorger; materiell kann das oft nicht anders als auf dubiose Weise geschehen. Das Betrüblichste an solchen Skandalen ist, daß sie als kriminelle Ausnahme präsentiert werden und uns glauben lassen, ohne sie könnte alles seinen geregelten Gang gehen. Wir sollten uns besser an den Gedanken gewöhnen, daß es neben vermeidbaren Resten auch unvermeidbare gibt.

1. Der unnötige Rest: Haben die Chemiker einen neuen Weg entdeckt, gefährliche Stoffe aus Abfall-Gemischen auszusondern oder sie erwünschte Bindungen eingehen zu lassen, müssen die Verfahrenstechniker her und Anlagen konstruieren, die diesen Weg gangbar machen. Wenn ihre Arbeit getan ist, muß sich ein Hersteller für die Apparatur finden. Es kann sonst zu Fällen kommen wie jenem in Berlin 1989, wo ein entsorgungswilliger Abnehmer von Absorber-Kühlschränken das Ammoniak nicht ablassen konnte, weil er keinen Hersteller für die entsprechenden Adapter fand. Wegen eines winzigen Teils wird das Ganze unverwertbar und stapelt sich auf Halde. Der Hersteller wiederum braucht einen hinreichend großen Kreis von Abnehmern, um die Apparaturen rentabel herstellen zu können. Für die Schaffung dieses Abnehmerkreises ist vor allem der Gesetzgeber zuständig. Man könnte das vereinigte Europa auch als Markterfordernis der Umwelttechnik betrachten. Viele Filter-, Klär- und sonstige Anlagen werden erst in serienmäßige Produktion gehen, wenn hinreichend viele Unternehmen zur Abnahme verpflichtet sind.

2. Der zwangsläufige Rest: Es gibt kein 1oo%iges Recycling, nur Annäherungen. Je vollständiger aber die Stoffe wiederverwandt oder die schon einmal existierenden Dinge wiederhergestellt werden sollen, desto größer wird der Aufwand. Irgendwann übersteigen die Kosten den Nutzen, und alle Energie verausgabte sich, um nur noch einen Teil ihrer selbst wiederzuerlangen. Die Rechnungen, die öffentlich aufgemacht werden, können trügen, selbst wenn sie nicht lügen. Man bekommt eine gefällige Recyclingquote präsentiert, aber den Müll verschwiegen, der bei der Wiederaufarbeitung entsteht. (Sei es beim Papier oder beim Uran.) Wenn sich der Kreis wirklich schließen soll, müßte auch die Rezyklisierung dieser Abfälle eingeschlossen sein. Ob die Rückführung in den Kreis gelingt, könnte also letztlich nur beurteilt werden, wenn man alle Faktoren im Kreislauf der Materie kennen und beachten würde. Man müßte wie die Natur selbst verfahren können, nur als Werkzeuge benutzendes Wesen. Es scheint jedoch eine Ironie auf die Intelligenz des Menschen, daß er immer nur mehr und zugleich weniger schaffen kann als die Natur. Seine Intelligenz zwingt ihn zu ungeheuren Wärmeumwandlungen, mit denen er eine ihm genehme Ordnung unter den Dingen herstellt. Diese Ordnung ist aber - und davon zeugt der Müll - auf einer ständig wachsenden Verschuldung gegründet. Auf der längst nicht mehr verborgenen Rückseite der Dinge wächst mit deren unbeherrschbarem Rest das Chaos.

3. Der zukünftige Rest: Die Grenzen zwischen zwangsläufigem und unnötigem Rest sind offen. Durch eine nicht-marktgesteuerte Prioritätenverlagerung könnten bei entsprechenden Kosten Verfahren zur umweltfreundlicheren Entsorgung bestimmter Reste erzwungen werden. Wie bei der Seeverbrennung von CKWs entscheidet empirisch oft die Kostenfrage. Durch eine dirigistische Politik könnte man hier und dort den Entsorgern die für sie kostengünstigeren Alternativen nehmen. Die Gesellschaft käme allerdings sehr bald in die Situation, daß die Gesamtkosten für ihre Produkte ihren Ertrag überschreiten könnten. Sie müßte auf eine Produktion zur Beseitigung der Dinge umgestellt werden.

Die Altlastensanierung sollte uns eigentlich schon einen Begriff davon vermittelt haben, was eine Produktion für die Vergangenheit ist. Das Entsorgungszeitalter hat schon begonnen. Als Strategie hat es sich aber auf eine Steigerung der Effekte festgelegt. Die Lehre aus der Vergangenheit wird auf die Zukunft abgewälzt. Immer mehr und immer gefährlichere Rückstände werden zurückgelassen. Die Entsorgung ist nur eine Altlastenproduktion für Spätere. Eine Zivilisation ist am Werke, von der man nicht weiß, ob sie nur nicht begriffen hat und noch an das »Noch-Nicht« glaubt, oder ob sie so vom Mißtrauen gegen die Zeit durchsetzt ist, daß sie sich nicht vorstellen kann, danach noch sie selbst zu sein und sich daher zur Skrupellosigkeit berechtigt glaubt.

Aller Unmut über technische Mängel und soziale Ungerechtigkeiten konnte lange mit der Vertröstung auf das große Noch-Nicht gedämpft werden; das war die Epoche des Fortschrittsoptimismus. Die Erfindung wirksamer Methoden zur Unschädlichmachung des Mülls läßt sich in einem zynischen Witz auf dieselbe Art und Weise

der Zukunft zuschieben. Aber die Zukunft wird nicht das Fehlerhafte unserer Zeit in ihrer Perfektion aufheben, sondern durch es determiniert werden. Heute werden die Sachzwänge von morgen geschaffen. Mit dem Entsorgungszeitalter hat die Herrschaft der Vergangenheit begonnen.